Heute startet eine neue Blog-Serie, bei der übrigens jede(r) mitmachen kann, der etwas zum Thema Hochsensibilität zu sagen hat. Das geht auch unter geändertem Namen, wenn man die direkte Öffentlichkeit scheut. Den Anfang macht Adele* (39), sie hat Romanistik und Amerikanistik studiert und arbeitet seit ihrer Tanzausbildung 2006 als Tanzpädagogin, Choreografin und Yoga-Lehrerin. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder (11, 9, 4).
Warum und seit wann denkst, beziehungsweise weißt du, dass du hochsensibel bist?
Ich denke das, seit ich einen Artikel darüber gelesen habe, der sehr genau auf mich zu traf. Davor habe ich selber für mich immer Begriffe benutzt wie „weniger Filter als andere Leute“, „mehr mitbekommen als andere“. Gefühle jeglicher Art waren schon immer sehr intensiv und konnten schnell umschlagen, was man früher allgemein als launisch bezeichnet hat, bevor ich wusste, dass ich auch Gefühle und Stimmungen von anderen aufnehme und miterlebe. Sehr viele Filme kann ich nicht anschauen, weil sie mich emotional zu sehr mitnehmen würden. Sehr oft fange ich Bücher an, die ich dann aufhören muss, wenn sie mir zu nahe gehen.
Ich kann in keine großen Supermärkte oder volle Geschäfte gehen, Shopping ist für mich undenkbar. Auch an Treffen von größeren Gruppen, Klassentreffen oder Ähnlichem nehme ich nicht teil, weil da zu viele Menschen sind, über die ich mir Gedanken mache und deren Stimmungen ich aufgreife. Schon immer habe ich Orte gemieden, wo viele Menschen sind, und versucht, soviel Zeit wie möglich in Abgeschiedenheit zu verbringen. In den zehn Jahren in denen ich in München gelebt habe, habe ich tausende Kilometer mit dem Fahrrad zurückgelegt, weil ich mir in der U-Bahn jeden einzelnen Menschen, jedes Gespräch „reinziehen“ würde. Das ist immer anstrengender als eine Stunde radeln.
In Cafés oder Restaurants höre ich alle Gespräche am Nebentisch, in Gruppen weiß ich immer, wer was nicht verstanden hat, wo Missverständnisse im Gespräch vorliegen. Teilweise spreche ich Menschen auf der Straße an, weil ich mitbekomme, wo sie eigentlich hin wollen und das nicht der richtige Weg ist. Mein Partner sagte immer, mit diesen Fähigkeiten sollte ich Agentin beim Geheimdienst werden. Ich bin aber froh, dass es dafür einen Begriff gibt. Es war für mich wichtig zu lernen, dass nicht alle Menschen so sind. Lange Zeit dachte ich, die Menschen in meinem Umfeld sind einfach zu langsam oder zu unsensibel, um Dinge wahrzunehmen.
Hat das deine Kindheit stark beeinflusst?
Nein. Denn ich kann mich nicht bewusst erinnern, dass das in der Kindheit schon so war. Es ist mir erst als junge Erwachsene aufgefallen.
Und deine Berufswahl?
Dass ich mich nach meinem Studium für eine Tanzausbildung entschieden habe, hat natürlich damit zu tun, dass Tanz für mich eine der sinnvollsten Beschäftigungen ist, die ich mir vorstellen kann, und der künstlerische Ausdruck mit dem Körper mir sehr entgegen kommt. Aber ich habe auch schnell gemerkt, dass das was ich eigentlich machen wollte – Kulturmanagment oder Journalismus – überhaupt nicht mein Ding ist.
Ich kann und möchte nicht „networken", mag keine großen Veranstaltungen, kann nicht lange von den gleichen Menschen umgeben sein... Mit 23 habe ich in einer großen Kulturorganisation gearbeitet und mich nach wenigen Wochen für die Tanzausbildung entschlossen. Seit ich Yoga für mich entdeckt habe, war eine Yoga-Lehrer–Ausbildung die logische Konsequenz. Am meisten genieße ich am Yoga-Unterrichten, dass niemand mit mir spricht und alle im Raum nach innen fokussiert sind.
Warum ist Yoga so gut für Hochsensible?
Für mich geht es beim Yoga hauptsächlich um zwei Dinge:
1. den Rückzug der Sinne, die sind wie Telefone, die ständig klingeln. In der Praxis gelingt es uns, einige Empfänger - wenn auch nur ab und zu - zum Schweigen zu bringen, beziehungsweise nach innen zu richten.
2. Raum schaffen, also Freiheit. Durch das Fokussieren auf die Atmung und das Lösen von Blockaden im Körper gibt es neuen Raum im Körper und im Geist, der leer bleiben soll. Leerer Raum ist was sehr wertvolles.
Du hast drei Kinder, wie schaffst du das als Hospea?
Meine Hochsensibilität zeigt sich sehr stark beim Hören. Ich ertrage nur schwer Menschen, die zu laut reden oder gleichzeitig durcheinander reden. Das ist bei drei Kindern natürlich ein Problem. Auch dass man nicht einkaufen will und allein das Abholen vom Kindergeburtstag die Hölle ist. Selbst ein Elternabend ist da schon sehr anstrengend. Am liebsten würde ich ständig und überall für Ruhe sorgen.
Der Lärmpegel und der akustische Output von drei Kindern ist für mich das Anstrengendste: Da ist Yoga meine Rettung. Eine tägliche Auszeit, in der niemand spricht und man niemandem zuhören muss. Auch mit den Kindern in der Natur zu sein, ist für mich sehr erholsam. Urlaub machen wir ausschließlich in Häusern in absoluter Alleinlage. Auf der anderen Seite hilft mir meine erhöhte Wahrnehmung sehr im Alltag.
Ich habe sämtliche Termine immer im Kopf, brauche keinen Kalender, kann viele Missverständnisse und Fehlplanungen im Voraus ausfindig machen und klären. Vieles weiß ich schon intuitiv bevor es ausgesprochen wird. Das hilft natürlich enorm bei der Organisation und manchmal frage ich mich wie andere das schaffen.
* Name auf Wunsch geändert
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Daniela (Donnerstag, 25 Januar 2018 15:12)
Oh ja, da gibt es ein paar Dinge, die kenne ich auch ganz gut.... Zum Elternabend schicke ich am liebsten meinen Mann und vom letzten Klassentreffen bin ich heulend heimgekommen. Einkaufen geht bei mir mittlerweile ganz gut. Trotzdem gehört es nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Ich bin schnell überfordert wenn zu viel Trubel um mich herum herrscht und nehme die Stimmungen der Menschen in meiner unmittelbaren Nähe zu sehr wahr, dass ich dabei oft an meine Grenzen stoße. Im Extremfall sind das wie kleine Panikattacken - ich kann mich nicht mehr konzentrieren und fange an zu zittern. Zum Glück weiß ich mittlerweile, dass es nichts Schlimmes ist und vorbei geht, sobald ich mich entspannen kann.... �